Keine Shows für Täter LOL
Täterschutz in Safe Spaces, avantgardistische Festivals ohne Awarenesskonzepte und Voyeurismus statt Solidarität: Die Schweizer Musikszene könnte echt mal ein Upgrade gebrauchen.
Hinter mir liegen über zwei Wochen Ferien, die ich Anfang Jahr gebucht hatte, als gerade das geile Literaturgeld auf meinem Konto gelandet war und ich dachte, davon würde ich nun ewig leben. Ein halbes Jahr später ist die Hälfte bereits weg und ich frage mich, ob ich mir vielleicht langsam doch einen sogenannten Job suchen sollte. Oder hier die Zahloption freischalten, ich bin ja sowieso schon lange ein fucking Brand, da kann ich ja auch noch das letzte Stückchen Seele vermarkten.
Meine Ferien habe ich zur Hälfte damit verbracht an meinem scheiss Buch weiter zu schreiben. Das letzte war irgendwie einfacher, aber ich war trotzdem völlig zufrieden und entspannt, wie ich in der ältesten Bibliothek Lissabons sass und Textfragemente herumschob. Zwischendurch bin ich energisch auf irgendwelche Hügel spaziert und habe in Coffeeshops, die so taten, als wären sie in Brooklyn, Cappuccinos getrunken und Expats beobachtet. Ich hatte mich mal wieder null informiert und war dementsprechend überrascht, dass Lissabon nicht nur komplett von Tourist*innen überlaufen war, sondern auch von US-Amerikanischen Expats. Gewissen Ecken hatten so den Vibe, als würde gleich Jeremy Allen White oben ohne reinkommen und sich einen iced blueberry Matcha bestellen.
Aber es war irgendwie ganz ok. Jedenfalls habe ich jetzt so gar kein Bock, wieder zurück in mein Life, zurück zu den üblichen Struggles, die eigentlich ja inzwischen ziemlich verblasst sind. Lieber würde ich irgendwo an einer fucking Playa sitzen und an der homoerotischen Betti Bossy Fan-Fiction schreiben, die mir in den Fingern juckt. Aber ich habe zuerst noch eine Rechnung offen, und zwar mit der Musikszene.
Ohne die Knieverletzung wär ich Profi geworden
Ich bin ja jetzt auch schon eine Weile musikalisch aktiv, bin auf einigen Bühnen gestanden und habe ein paar mehr oder weniger erfolgreiche Sachen gemacht. Sido hat einmal gesagt, dass er mich schlecht findet, da hätte ich eigentlich durchstarten sollen. Hätte ich die Knieverletzung nicht gehabt, wäre ich auch safe Profi geworden und mit Knieverletzung meine ich Trauma, mit Profi Rap-Star. Aber ich hatte ja auch gar nie grosse Ambitionen, ich fühl mich am wohlsten in den kleineren Venues und Festivals der Deutschschweiz, das ist der Kontext, in dem ich mich seit 15 Jahren bewege und zuhause fühle. Ich habe auch keine Lust auf grössere Bühnenproduktionen, ich will einfach nur mit meinem Laubbläser und ein paar Geräten in der Venue aufkreuzen, was weirdes abliefern und dann wieder nachhause gehen. Und trotzdem macht es mich etwas sad, auf Instagram zu zuschauen, wie meine Peers Festivalbühnen spielen.
Vor einem Jahr hätte ich auf einer solchen Bühne ein, zwei Features spielen sollen, es war easy so was wie ein one in a lifetime Slot, direkt nach Lil Nas X, vor einem Publikum von mehreren Tausend Personen. Ich musste schliesslich absagen, weil mich eine heftige Traumareaktion überrollte. Jetzt gerade wäre ich eigentlich am Vorbereiten für eine Performance, die eine gute Gelegenheit gewesen wäre, mein Solo-Projekt weiter zu entwickeln. Aber auch diesen Auftritt habe ich abgesagt, dieses Mal, weil auf dem Lineup zwei Personen standen, die ich aufgrund deren gewaltvollen Verhaltens weder mit meinem Namen supporten möchte, noch mich in Räumen aufhalten will, die sie mitprägen. Ich hatte mich gegen einen Dialog mit den Veranstaltenden entschieden, weil ich keine Energie dafür hatte und nicht einschätzen konnte, ob dieser retraumatisierend sein würde. Ich habe ja recently sowieso die Verweigerung als wirkungsvolles und bestärkendes Tool für mich entdeckt. Man muss sie sich aber auch leisten können, die Verweigerung. Ich lebe nicht von Auftritten, habe das auch in Zukunft nicht vor und befinde mich zurzeit in einer Phase, in welcher ich bewusst wenig live performe. Dies wird sich aber frühestens nächstes Jahr wieder ändern, weshalb ich begonnen habe, mir darüber Gedanken zu machen, welche Ansprüche ich inzwischen an Venues und Veranstaltende habe und wie ich diesen gerecht werden kann. Dabei bin ich auf das Konzept Inclusion Rider gestossen.
The bar is fucking low
Der Inclusion Rider ist eine Vertragsklausel, die gewisse Bedingungen in Bezug auf Diversität, Repräsentation und Zugänglichkeit festlegt. Bekannt ist das Konzept vor allem aus Hollywood, aber auch in anderen Bereichen gibt es dieses, zum Beispiel bei politischen oder wissenschaftlichen Podien. So hat zum Beispiel Cedric Wermuth vor ein paar Jahren angekündigt, nur noch an Podien teilzunehmen, wenn eine Frau dabei ist. (Yes, the bar is fucking low.) Auch in der Musikbranche gibt es den Inclusion Rider. In der Regel wird als Bedingung eine Quote von 30% FLINTA-Personen im Lineup genannt – wobei FLINTA oft als Synonym für (cis) Frau verstanden wird.
Aber bei Inklusion geht es natürlich um viel mehr, als um eine Frauenquote. Inklusion bedeutet auch, sicherere Räume zu schaffen mit Awarenesskonzepten, barrierefreie Räumlichkeiten, Massnahmen gegen Covid, antirassistische Strukturen und konsequentes Einstehen gegen jede Form von Gewalt. Die Liste ist lang und unvollständig. Was so alles in einem Inclusion Rider stehen könnte, hat die Gruppe Save The Dance zusammengetragen. Dort kann man sich raussuchen, was man für wichtig hält und was in den Kontexten, in denen man sich bewegt, angemessene und realistisch umsetzbare Forderungen sind. Man sollte dabei nicht vergessen, sich zu fragen, was man aus welchen Gründen für verhandelbar hält und was nicht, weshalb man also gewisse Ausschlüsse eher in Kauf nimmt als andere.
Ich persönlich ziehe eine klare Grenze, wenn es um gewaltvolles oder diskriminierendes Verhalten geht. Etwas flexibler bin ich, wenn es um Dinge geht, die Infrastruktur und Ressourcen bedingen. Zum Beispiel bin ich zwar der Meinung, dass man als Venue oder Festival inzwischen langsam echt ein Awarenesskonzept am Start haben sollte, würde aber viel lieber in einem Space performen, das kein ausgearbeitetes Konzept hat, aber Awareness-Themen unabhängig davon ernst nimmt, als an einem Festival, das ihr Konzept schlecht umsetzt oder das Thema bewusst ignoriert, weil es nicht als wichtig erachtet wird, wie zum Beispiel die Bad Bonn Kilbi: Wer als eines der angesagtesten Festival der Schweiz, das die internationale queere Avantgarde auf die Bühne stellt, 2024 noch kein Awarenesskonzept hat, sollte imo mal über die Bücher. Dasselbe gilt für das Out In The Green Garden Festival in Frauenfeld, das sich in den vergangenen Jahren nicht nur mit einem progressiven und diversen Booking einen Namen gemacht hat, sondern auch mit Awarenessarbeit. An der diesjährigen Ausgabe wird nun jedoch gänzlich auf Awarenesskonzept und -team verzichtet.
Status Quo Täterschutz
Was für mich persönlich auf meinem Inclusion Rider am relevantesten sein wird, ist mit wem ich eine Bühne oder allgemein Räume teilen möchte und damit einhergehend grundsätzlich die Frage, wem wir eine Bühne geben und mit welcher Verantwortung diese Form von Sichtbarkeit und Macht einhergeht. Im deutschsprachigen Raum wurde dieses Thema in den letzten Jahren hin und weider öffentlich diskutiert, zum Beispiel in Bezug auf Till Lindemann oder Jan Gorkow, dem Frontsänger der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet. Auch in der Schweiz wurden und werden diese Fragen immer wieder aufgrund verschiedenster Vorwürfe und Vorfälle intensiv verhandelt. Die Diskussionen bleiben aber meistens in den Veranstaltungskollektiven, öffentlich findet kaum eine Auseinandersetzung statt. Dementsprechend scheint es keinen wirklichen Konsens zu geben, wie mit dem Thema umzugehen ist, respektive scheint man nach jedem Schritt nach vorn, bald wieder in den Status Quo zurückzufallen. Status Quo heisst in diesem Fall: Leute, die Dinge gesagt und getan haben, die nie Einsicht gezeigt oder sich entschuldigt oder nennenswerte Konsequenzen erfahren haben, spielen Shows an Orten, denen Betroffene sich eigentlich zugehörig und safe fühlen sollten, an denen sie Geld verdienen müssten, das wenige Geld, das es zu verdienen gibt, für den Mindestlohn hinter dem Tresen oder im Büro, für die kleine Konzertgage. Orte, die somewhat progressiv oder klar ideologisch sind und sich allerlei Grundsätze ins Manifest geschrieben haben, das irgendwo in einer Ecke verstaubt.
Ich weiss, es wäre catchier, wenn ich die Dinge, die gesagt und getan wurden, benennen würde. Ich weiss, dass ihr den voyeuristischen Blick auf die Gewalt in allen Farben und Details liebt. Aber es geht hier weder um die Dinge die gesagt und getan wurden, noch um die Leute die sie gesagt und getan haben. Es ist mir auch völlig egal, was mit den Leuten passiert, die Dinge gesagt und getan haben, die sich zutiefst misogyn verhielten und gewaltvoll handelten. Es geht mir einzig um jene, die diese Dinge er- oder überlebt haben und von diesen Leuten verletzt wurden. Jene, denen ihr Sicherheitsgefühl geraubt und jegliche Solidarität verweigert wurde, die wegziehen, krank werden, ihre Karrieren auf Eis legen, aus Projekten aussteigen, die sie mitgeprägt oder sogar mitaufgebaut haben. Dass die Verhältnisse so sind und scheinbar auch bleiben, also dass Leute, die Dinge gesagt und getan haben, Shows spielen in Spaces, die sich als progressiv und safe verkaufen, während Betroffene weder Unterstützung noch irgendeine Form von Wiedergutmachung erfahren, zeigt, wie wenig ihr Schmerz wiegt. Ganz im Gegenteil zu den gesellschaftlichen Positionen von Leuten, die Dinge gesagt und getan haben – von Tätern.
Truth and Repair
Ich bin ehrlich gesagt easy desillusioniert und zweifle daran, dass meine Stimme Gewicht hat. Was soll schon passieren, wenn ich Texte wie diesen veröffentliche? Vielleicht sind wieder einmal ein paar Leute erschüttert. Vielleicht wird wem ein, zwei Mal eine Bühne verweigert. Vielleicht geht es dem dann ganz schlecht. Vielleicht haben dann andere Mitleid. Vielleicht wollen einzelne etwas verändern. Vielleicht schreiben sie Statements in ihre Insta-Stories. Vielleicht stehen sie ein paar Monate später mit denselben misogynen Gaslightern auf dem Lineup ohne mit der Wimper zu zucken. Vielleicht schaut plötzlich wieder die ganze scheiss Szene hin, für eine Woche oder zwei, auf so eine voyeuristische Art, wie man Drama zuschaut, das einen nicht betrifft. (Surprise: You’re part of it.) Vielleicht fühle ich mich gehört und vielleicht habe ich ganz kurz die Illusion, ich wäre ein vollwertiger Teil der Gesellschaft, mein Schmerz hätte Gewicht und die erfahrene Gewalt Konsequenzen.
Genauso war es vor einem Jahr, als ich mein eigenes kleines #metoo-Moment hatte. Ich dachte, jetzt wo ich den Müll rausgebracht hätte, das Geheimnis gelüftet sei, würde alles anders. Aber nichts ist anders geworden. Alles ist gleich und auch ich bin the same und ich wiederhole mich wieder und wieder und wieder. Bis die Trigger alle sind. Aber die Trigger gehen nicht aus, solange ihr Tätern weiterhin eine Bühne gebt, weiterhin mit ihnen zusammenarbeitet, solange eure silly little Instagram-Statements performativ bleiben.
Der Grund für diese Wiederholungen, für mein never ever Ruhe finden, beschreibt Judith Herman ganz zu Beginn in ihrem neuen geilen Traumabuch «Truth and Repair»:
«In recent years, I have begun to contemplate the idea of a fourth and final stage of recovery, and that is justice. If trauma is truly a social problem, and indeed it is, then recovery cannot be simply a private, individual matter. The wounds of trauma are not merely those caused by the perpetrators of violence and exploitation; the actions or inactions of bystanders – all those who are complicit in or who prefer not to know about the abuse or who blame the victims – often cause even deeper wounds. These wounds are part of the social ecology of violence, in which crime against subordinated and marginalised people are rationalized, tolerated, or rendered invisible. If trauma originates in a fundamental injustice, then full healing must require repair through some measure of justice from the larger community.»
Zusammengefasst: Traumata sowie deren Heilung sind eine soziale Angelegenheit. Gerechtigkeit ist essenziell für die Heilung von Traumata. Die Gesellschaft ist mitverantwortlich, diese Gerechtigkeit herzustellen. I beg you, tätowiert euch das hinter eure scheiss Ohren.
Wege zur Gerechtigkeit
Der Frage, wie diese Gerechtigkeit aussehen könnte, geht Judith Herman in «Truth and Repair» nach, in dem sie mit Betroffenen spricht und ihnen zuhört. Klar ist, dass es keine universelle Lösung, aber viele Ansätze gibt. So wie in den meisten Bereichen der Gesellschaft und konkret in der Musikszene der Deutschschweiz, in linken und vermeintlich progressiven Spaces Betroffene zum Schweigen gebracht und ausgeschlossen und gleichzeitig Täter auf Bühnen gestellt werden, sind wir jedoch ganz klar noch weit, weit weg von dieser Gerechtigkeit.
Natürlich wird bereits viel Arbeit geleistet, die Szene ein wenig gerechter und inklusiver zu gestalten, as usual in erster Linie von Betroffenen. Überlebende von patriarchaler Gewalt setzen sich dafür ein, dass Abuser keine Bühnen oder andere Machtpositionen bekommen. Disabled Personen setzen sich für Zugänglichkeit ein. Queers für Awareness. People of Colour gegen strukturellen Rassismus. Das ist auch gut so, Betroffene haben in diesen Gebieten am meisten Erfahrung und Kompetenz. Aber es wär halt doch irgendwie nice, wenn auch the average white cis Boy mit Gitarre einmal einen Finger krumm machen würde. Just let a bitch dream.
Man kann ja auch einfach mal klein anfangen: Ausnahmsweise einmal nicht mit Abusern auf der Bühne oder auf dem Lineup stehen oder Täter auf die Bühne stellen. Veranstaltende auf problematisches Verhalten hinweisen und sie in die Verantwortung nehmen. Einen basic Inclusion Rider erstellen und auf dessen Einhalten bestehen. Die Bedürfnisse von Betroffenen über jene von Tätern stellen. Das wär doch das fucking Mindeste.