The Innendesign of power
Gastautorin Mia Nägeli über das Feng Shui der Gewalt: Ein Blick in die Räume, in denen Männlichkeit und Macht geformt und weitergegeben werden.
Männlichkeit ist nicht natürlich. Sie ist nicht einfach so da, sie entspringt nicht unserem Körper und sie hat auch nichts mit Yin und Yang zu tun, so wie es mir irgendwelche deutsche Auswandererhippies einprügeln wollten, als ich als Teen mit Lebenskrise für eine Weile in eine Kommune in Portugal abgehauen bin. Die Esoteriker*innen tischten mir das gleiche auf, das später Aufreisscoaches anxious Teenagern und heute Alpha-Influencer verunsicherten Buben einprügeln: Männlichkeit existiere als unabhängiges Ding, sie entspringe einer spirituellen Überexistenz, sie komme aus dem tiefsten Inneren, aus dem Herzen, vielleicht aber auch aus dem Schwanz. Und beim Mannsein gehe es darum, eben diese ursprüngliche, unbefleckte Männlichkeit zu entdecken, sie von allem zu befreien, das sie trübt, verfälscht, schwächt. Sei das nun durchs Erdeschaufeln in Permakulturgärten, durch irgendwelche Schreitrainings im Wald oder in dem Mann möglichst hart fickt. Diese Illusion einer reinen Männlichkeit, gott- oder schwanzgegebenen, findet sich bei Hippies und bei Andrew Tate, bei rechten Politikern und linken feminist fuckboys, dient als Selbstoptimierungsideal oder als politische Propaganda. Dabei existiert Männlichkeit nie ausserhalb des sozialen Kontextes und ist nie so unbefleckt, wie (cis) Männer sie sich wünschen. Die Männlichkeit von heute ist geformt, von Politik, Religion und Geschichtsschreibung, und ihre Produkte wie gewaltvolle Macht, Sexismus und Übergriffe werden weitergegeben und wieder und wieder neu bestätigt. Häufig in einem beinahe rituellen Rahmen, in boy rooms, den sinnbildlichen «boys only»-Baumhäusern, im Innendesign of power – der politisch und sozial mächtigsten und gleichzeitig ästhetisch widerlichsten Art von Innendesign überhaupt.
Innendesign of power findet sich überall da, wo politische oder soziale Macht informell von Mann zu Mann weitergegeben wird: In den Stammlokalen von Studentenverbindungen oder in den Umkleidekabinen von Handballclubs, in Proberäumen von Rockbands und Rappern, in Unternehmer- und Politikerverbänden wie dem «Lions Club» oder in Backstages von männergeprägten Festivals. Ob «Mann» dabei zugelassen wird, hat nicht mal mit Identität zu tun, mit dem tatsächlichen, zugewiesenen oder sonst irgendeinem Geschlecht. Bedingung ist es eher, die Männlichkeit performen zu können, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse aufrechterhält. Ein Penis ist dafür ein willkommenes Plus, nicht nur weil unsere Kultur das Ding als Symbol von Potenz, von Macht aufgeladen hat – sondern auch weil Mann so besser in leere Flaschen urinieren kann, und die sind im teenage Innendesign of power ein essenzieller Teil. Mit Frauen ficken zu wollen hilft auch, aber notwendig fürs Mitmachen ist das ebenfalls nicht. Trotz – oder genau wegen – der ziemlich silly Definition von «Mann» durch unsere Gesellschaft sind die boy rooms dann doch beinahe ausschliesslich cis Männern vorbehalten. Im Gegenzug fürs Teilhaben an und das Aufrechterhalten des Innendesign of power und dessen Männlichkeit erhalten sie Macht weitergegeben, sei das ein Amt, ein Job, ein Slot auf einer Festivalbühne oder sonstiges soziales, politisches, juristisches, materielles Kapital.
Was genau zeichnet dieses Innendesign of power der boy rooms aus? Was ist dessen Feng Shui und: Dreht es sich hierbei um spezifische Innendesign-Objekte oder ist es doch eher ein Lebensgefühl?
Teenage Dirtbag
Das Innendesign of power ist in erster Linie eine festgefrorene Teenagerfantasie. Eine Summe an Reliquien aus der Zeit, bevor das erste Mal die eigene Allmacht und Omnipotenz in Frage gestellt wurde. Ein Träumen von der Zeit vor Konsens und Feminismus, vor dem ersten Mal Selbstzweifel und vor dem ersten Mal keinen hoch kriegen. Der Versuch, die illusorische unbefleckte Männlichkeit herbeizurufen, in dem man einen Raum schafft, in dem sie frei existieren kann, mit allem was sie braucht.
Ein fucking Klischee eines solchen Raumes zeigte uns die «Rundschau» Ende Mai 2024: Das Partyrüümli des Schaffhauser Anwalts, in dem eine Frau von mehreren Männern brutal zusammengeschlagen wurde, zeigt das Innendesign of power in seiner vielleicht widerlichsten Form. Auf den Socials kann man in den «second floor» eintauchen, wie der Anwalt sein man cave nennt. Gleich neben dem Eingang hängt ein Gemälde mit sechs Figuren: Captain Kirk, Commander Riker, Worf, La Forge, Data – alles Figuren aus «Star Trek», aus einer der historisch diversesten Serien und doch sind nur Männer abgebildet. Mittendrin: Der Anwalt in stolzer Pose. Ebenso stolz empfängt er hier Klienten, Lokalpolitiker oder auch mal Polizisten. Hier wird gemeinsam gesoffen und gekocht, hier wird juristische Zusammenarbeit ausgearbeitet und hier werden Kontakte geknüpft. Die Bar ist gut mit Schnaps ausgerüstet, an den Wänden hängen Schilder von Biermarken, Fotos von Männern mit Instrumenten oder Waffen und LED-Lichter, die im Takt der Musik blinken. Jan Delay hört Mann hier, ganz viel Queen, hie und da auch Gangsterrap oder Schlager – grundsätzlich fast nur cis Männer. Und auch auf den hunderten Fotos und Videos aus dem Rüümli auf Instagram oder TikTok findet sich nur selten eine Frau. Mindestens eine dieser wenigen Frauen wurde hier brutal zusammengeschlagen und mutmasslich nur dafür ins Rüümli eingeladen.
Das Innendesign of power ist selten so personalisiert wie bei dem Schaffhauser Anwalt, nicht viele leisten sich ein «Star Trek»-Auftragsgemälde. Meistens besteht es eher aus Objekten, die genauso generisch sind, wie «Live Laugh Love»-Wandtattoos. Nur erzählen sie nichts von Lachen oder von Liebe, keine «Alles wird gut»-Fotos von Katzen die an Wäscheleinen hängen («hang in there, baby»). Stattdessen wird hier Rape, Sexismus und Gewalt normalisiert und verharmlost und männliche Macht zelebriert. An den Wänden hängen Poster von All-male-Rockbands oder von Sportstars, im Wissen derer Geschichte von sexualisierter Gewalt oder selten gar aus trotziger Solidarität, weil «gar nichts bewiesen ist, imfall».
Sehr typisch sind die «Bandrüümli», Hunderte davon übers Land verteilt. Geile Gitarren, Schimmel in Bierflaschen und keine Toilette in der Nähe, aber man kann ja gegen einen Baum pissen, oder in die Flaschen, das helfe vielleicht auch gegen den Schimmel. Dazu läuft irgendein Song, in dem ein tragischer Held von seinem Mord an seiner Freundin singt, eher unverblümt wie in Hendrix’ «Hey Joe», vielleicht auch einfach als Metapher, wie es Neil Young in «Down by the River» tut. Vielleicht aber was moderneres, was mit Saufen und dicken Eiern, irgendwas von Jule X, Lil Bruzy oder Danase. Oder wenns eher romantisch sein soll, vielleicht Yung Hurn mit «Blumé». Das suggeriert so durch die Blume Sex mit Minderjährigen, auch wenn «gar nichts bewiesen ist, imfall», und das gehört bei all den Stars auf den Postern, in den Songs, auf den Socials fast schon dazu. Erfolgreiche Männer, die halb so alte Frauen ficken oder vergewaltigen – ist kulturell dermassen normalisiert, dass sich kaum wer mehr darüber empört. «Blaue Flecken auf dei'm Popo, bitte, bitte, sags keinem! / Baby, deine Eltern schlafen nebenan, bitte, bitte, tu nicht schrei’n!» und dazu wird Bier um Bier gekippt, Joint um Joint geraucht, irgendwer erzählt, welche Schlampe er zuletzt gefickt hat und wer anders hat noch einen offenen Slot im Lineup, eine offene Stelle in der Redaktion, ein Amt, das man auch easy unter der Hand weitergeben kann. Und von den Wänden, aus den Boxen und von allem Rundherum schreit es: Das ist Männlichkeit, das ist power, wir dürfen das und mit das meinen wir alles. Male-only Räume wie diese fördern nachweislich Rape und sexualisierte Gewalt, wie Judith Hermann in «Truth and Repair» darlegt. Proberäume von reinen Männerbands sind also genauso Zuchtstätten von Schimmel wie auch von gewaltvoller Misogynie.
He was a boy, she was a girl
Von Aussen wirkt das Innendesign of power aber nicht immer so gefährlich oder eklig, wie es eigentlich ist. In einer absurden Umkehr, so wie Täter, die über ihre Gewalttaten jammern, weckt das Innendesign of power hie und da Mitleid oder gar Muttergefühle. Wenn die Männerrunde einen zu viel getrunken hat und irgendwie heimchauffiert werden muss, wenn die Girlfriends der Boybandboys mal im Proberaum vorbeikommen um aufzuräumen, oder wenn an einem Abend pro Jahr im Verbindungskeller auch Girls vorbeikommen und abgefüllt werden, dann zeichnet sich die hier zementierte Männlichkeit nicht als machtvoll oder gefährlich, sondern in einer absurden Umkehr als infantil oder gar schutzbedürftig. «Boys be boys» heisst es dann, die kriegen es nicht ganz hin, das mit der Sauberkeit, das liegt so in deren Natur, denen muss man halt ein bisschen aushelfen. Unter Kontrolle haben sie sich auch nicht wirklich, deswegen muss man sie nach Hause bringen, ein Taxi bestellen, sie von Streitereien abhalten. Und am besten versteckt man dabei Brüste und den Arsch, denn ihren Sexualtrieb haben sie genau so wenig unter Kontrolle, wie das mit dem Entsorgen von Altglas, mit dem Abäschern im Aschenbecher, mit der Lautstärke, dem Alkoholkonsum, das mit dem Vergewaltigen. Hat Girl dem Boy dann die Flaschen entsorgt, ihn aus einer weinerlichen Trunkenheit gerettet, am liebsten mit einem Blowjob, versteht sich, dann fläzt sich Boy auf die frisch geputzte Couch und prahlt gegenüber den anderen Boys, wie tief sein Schwanz eben grad noch im Mund des Girls war.
Das klingt total überzeichnet, aber findet sich so in den Biografien diverser Rockstars der letzten Jahrzehnte. Oder in jeder zweiten 2000er Serie, zum Beispiel im Bro Code aus «How I Met Your Mother». Ich habe das selbst erlebt, in Proberäumen, in Festival-OKs, in Backstages, in Umkleidekabinen. Die Boys, die beim Duschen nach dem Sportunterricht stolz die roten Flecken vom letzten Treffen der Schülerverbindung gezeigt haben (offiziell schlägt und peitscht natürlich keine Verbindung mehr, vielleicht haben sie es auch gar nie, nur Gerüchte und Vorwürfe, so wie bei den Übergriffen: «da ist gar nicht bewiesen, imfall») – die Verbindungsboys sitzen heute in irgendwelchen Machtpositionen. Und diejenigen, die am meisten Mann waren im Backstage, die am lautesten und am breitesten waren, sind heute die mit den ausuferndsten Europa-Tours.
Vom Spion zum Sexobjekt
Lange hatte ich Zugriff auf diese Privilegien. Nicht auf alle, aber auf die meisten davon. Ich musste kaum einen Finger rühren, um zu Jobs und zu Bühnen zu kommen. Einmal Saufen mit den Jungs und alles kam wie von selbst. Immer war irgendwer, mit dem ich in irgendeinem boy room rumgesessen hatte, der bereits mit irgendwem anderem in einem boy room herumgesessen. Der Chefredaktor des meistgelesenen Schweizer Mediums war nur ein Rüümli weit entfernt, ebenso der meistgehörte Schweizer Musikexport, der Booker des szenigsten Festivals, der renommierteste Pop-Journalist, Jobs und power überall. Natürlich war das alles nicht nur an Männlichkeit gebunden, sondern auch an meine Whiteness, an eine finanziell stabile KMU-Familie, an meinen halbwegs gesunden und den Normen entsprechenden Körper und daran, dass ich meine Neurodivergenz meistens okay masken konnte. Das Innendesign of power ist nicht nur sexistisch und nicht barrierefrei, es ist auch rassistisch, ableistisch und vieles mehr.
Mit meinem Heilungsprozess und meiner Gendertransition entsprach ich weniger und weniger den Anforderungen und so zerfiel der Zugang zu den Räumen, zum Netzwerk, zu den Privilegien. Spätestens mit dem sozialen Outing war ich ganz draussen, aber zu bröckeln begann es schon früher. Dass ich das Testosteron in meinem Körper mit Pillen auszulöschen begann, spielte dabei nicht wirklich eine Rolle. Testosteron bricht die Stimme und das Kopfhaar, aber es macht keinen Menschen zu einem Gewalttäter, keinen Menschen zu einem Mann und Testosteron kreiert nicht die Männlichkeit, die zwischen Rockstarpostern und Rape Culture gedeiht. Diese Männlichkeit ist anerzogen, unabhängig von Hormonen oder Schwanz. Und also brachen die ersten Privilegien weg, als ich mich innerlich von der Männlichkeit zu entfernen begann, als ich bemerkte, dass ich doch nie wirklich ein Mann gewesen war. Also wurde ich aus dem Baumhaus geworfen und sitze jetzt mit allen anderen in der Wiese herum, die tendenziell vielleicht eher sexualisiert werden, statt selbst zu sexualisieren. Einmal das ganze Casting eines typischen «James Bond»-Films durchgespielt, vom Spion zum Sexobjekt. Unten auf der Wiese warnen wir uns gegenseitig vor den Boys aus dem Baumhaus. So viel wie die oben übers Ficken reden, so reden wir hier über sexualisierte Gewalt. Aber nicht breitbeinig auf der Couch, versteht sich, sondern eng beieinander flüstern wir uns Warnungen oder Support zu. Statt den Gewalttäterpostern und den Femizidsongs des Innendesign of power jetzt vielleicht doch «Live Laugh Love» und das Foto der Katze an der Wäscheleine: «hang in there baby». Bis der Baum mit dem «Boys only»-Baumhaus fällt, bis zum Ende des Patriarchats oder vielleicht auch nur bis zum Ende der Traumata.
Mehr rund um Männlichkeits-Rock’n’Roll findet sich in «Sex Revolts» von Joy Press und Simon Reynolds und einen wissenschaftlicheren Blick auf (gebrochene) Allmachtsphantasien und deren Einfluss auf männliche Gewalt liefert Kim Posster in «Männlichkeit verraten!». «Jede_ Frau» von Agota Lavoyer fasst Rape Culture auch ausserhalb von boy rooms gut zusammen und wie von misogyner Gewalt Betroffene heilen und was angemessene Vorstellungen von Gerechtigkeit sein können, beschreibt Judith Herman in «Trauma and Recovery» und «Truth and Repair».
Danke, mir Cis-Dudes hend wohl meh Angst selber zkotzte zbecho (bi dem wo du da schribsch chan ein nume skotzte zcho) als witerhin das ganze eifach mal zu Beende. Wär so kotzfreieri Welt ohni eus... all die Privilegie abzschaffe die einzigi Lösig^^lg
Danke für deinen Text, du schreibst uns aus der Seele.