Das kleine Shitstorm Archiv
Meine sieben fave Shitstorms und Social Media Beefs. Nummer drei lebt leider für immer mietfrei in meinem Kopf.
Ganz ehrlich ich wär gern in meiner Shitpost-Era, aber ich muss leider seriös an meinem Buch schreiben. Ich bin jetzt langsam in der Phase, wo ich das Buch bin und das Buch ist ich, das Buch und ich sind also eine organische Einheit. Ich nenne es inzwischen liebevoll mein scheiss Buch Gasbert und manchmal gehen wir spazieren am Rhein. Es bleibt also wenig Zeit für Shitposts oder silly little Blogbeiträge, aber zwischendurch muss es halt doch mal sein und deshalb nun hier ein kleiner News-Flash, respektive ein Ausflug in das Archiv der Shitstorms, das sich in meinem Brain angelegt hat.
Fuck Slogans
Irgendwann Ende Twitter, als man sich da noch aufgehalten und Beefs ausgetragen hat, die sogenannten Linkslibs gegen die sogenannten Linksradikalen, die Anarchos gegen die ex-Anarchos, die Journos gegen die Politiker*innen, Netz Courage gegen den Rest der Welt, usw usw, damals also hat Jürg Halter – der zu den sogenannten Linkslibs zählte und regelmässig mit problematischen Takes auffiel – eine Ausstellung in Zürich angekündigt. Die Ausstellung hiess «Fuck Slogans» und darin hingen Leinwände, auf die Jürg Halter in unbeholfener Blockschrift Dinge geschrieben hatte wie zum Beispiel «LGBTQIABCDEFG-HUMAN». Dazu gab er ein unerträglich reaktionäres Interview, auf dessen Inhalt ich gar nicht eingehen will, you get the vibe. Es war jedenfalls alles genauso unangenehm wie irrelevant, wurde aber natürlich aufgegriffen von der lokalen Anarcho Shitpost Bubble, kaum ein Shitstorm, nur ein paar Rants und Memes. Daraus leitete Halter anonyme Drohungen ab, engagierte für die Finissage seiner Ausstellung Sicherheitspersonal und jammerte leidenschaftlich rum, dass er nun Sicherheitspersonal hatte engagieren müssen. Die als Drohung aufgefassten Tweets waren jedoch nichts als ein Shitpost und auch nicht wirklich anonym, man kennt sich in der Bubble, und sowieso: Als würden Berner Anarchos nach Zürich fahren, wegen ein paar hässlicher Bilder, und das ausgerechnet am Tag des anitfaschistischen Abendspaziergangs.
Meanwhile war vor einer Weile mein erstes Buch erschienen und die Vernissage in St. Gallen war von zwei Männern gestört worden, offensichtlich gezielt, auch wenn das Motiv nicht ganz klar war. Ich hatte kein Sicherheitspersonal, das Publikum musste intervenieren und stellte die Typen raus. Zum Zeitpunkt der Störung hatten Moderator*in X Schneeberger und ich einen Raum aufgebaut, in dem wir uns safe fühlten. Aber Räume wie die unseren sind fragil und Angriffe auf diese real, online wie offline. Die Störung von Räumen, in denen reaktionärer Müll verbreitet wird, eher weniger.
Beef zum Frühstück
Nachdem Twitter tot war, sind ja alle erstmal zu Mastodon, oder wie das hiess, zwischendurch zu Threads und schliesslich zu Bluesky. Ich ging direkt zu Bluesky, nachdem ich meinen Twitter-Account aus Nostalgiegefühlen noch etwas stehen gelassen hatte und mich alle paar Wochen noch einloggte um zu sehen, welchen Film Regula Stämpfli grad mal wieder am Schieben war.
Bluesky war dann lange eigentlich ganz ähnlich wie Twitter früher, einfach ohne die Promis, ohne den Beef und ohne den scheiss Diskurs. Also richtig angenehm. Bis zum Tag der US-Wahl, da ging es dann plötzlich drunter und drüber. Flavor Flav loggte sich ein, der erste grosse Bluesky-Beef innerhalb der deutschsprachigen linken Bubble kochte hoch und so kam fast wieder etwas Twitter-Feeling auf, also in a bad way, weil Twitter war tbh bereits die Hölle, bevor Elon Musk das Ding kaufte und zugrunde richtete. Ich war trotzdem sehr invested im neuesten Beef, ich liebe so niche Social Media Beefs und die damit einhergehenden Dynamiken. Wenn die einzelnen User nicht mehr die Kontrolle darüber haben, wie sich ein Gespräch entwickelt, dann wird der Algorithmus zu einem eigenständigen Wesen and I really love that für den Algorithmus, good for her!
Diesmal ging es um die Frage nach der Mehrheitsgesellschaft, nach anschlussfähiger Politik und welche marginalisierte Gruppen im Kampf gegen Faschismus unter den Bus geworfen werden sollten, respektive ob es noch Kampf gegen Faschismus ist, wenn man es zum Beispiel als some kind of Nebenwiderspruch sieht, dass Trumps Kampagnenbudget im letzten Wahlkampfmonat zu einem Drittel in anti-trans Propaganda floss oder in Ohio beinahe zu einem Pogrom gegen aus Haiti migrierte Bürger*innen geführt hatte. Ich las also alle Posts, die ich finden konnte, darunter waren gerade mal höchstens zwei, die ich inhaltlich reichhaltig fand, aber immerhin brachten die mich zum Nachdenken. Einer davon erklärte, wie Konzepte wie «Partikularinteresse», «Identitätspolitik» oder «Nebenwiderspruch» dazu genutzt wurden und werden marginalisierten Gruppen Solidarität und Schutz zu verweigern und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten.
Das erklärt eigentlich ganz gut die Queerfeindlichkeit, die ich in antifaschistischen Kontexten nicht selten mitgekriegt habe. Beispielsweise der Anarchodude, der getweetet hat, man solle nicht im einzigen queeren Bookstore der Stadt einkaufen, weil sich dieser die Räumlichkeiten mit einer spirituellen Buchhandlung teilt. Ich weiss ja nicht, aber Boykott-Empfehlungen für queere Spaces abgeben, während die SPV den «anti Gender» Train einheizt, schaut imo recht scheisse aus. Oder die ganzen white cis het Antifas könnten sich auch mal fragen, weshalb sie so an die Decke gehen, wenn eine erfolgreiche queere Person deren Hauptanliegen queere Themen sind, in den Nationalrat gewählt wird und warum ausgerechnet diese Person die antikapitalistischste auf der ganzen Welt sein muss? Ich hatte jedenfalls öfters den Eindruck, dass in linken Kontexten queere Anliegen belächelt, ignoriert, oder Queerness selbst auch unumwunden abgewertet wurde. Dabei gäbe es inzwischen einiges an Theorie, die anitkapitalistische, queerfeministische und dekoloniale Ideen vereint, aber dafür müsste man halt mal in den queeren Bookstore und das geht ja nicht, weil was, wenn einen die Buddies vom Schwarzen Block da sehen zwischen Klangschalen und sexy gay Theorie?? Zum Beispiel würde man da «Materialistischer Queerfeminismus» finden, herausgegeben von Friederike Beier, die in diesem Podcast auch genau über die Themen spricht, die seit der US-Wahl wieder exzessiv diskutiert werden.
Nicht schon wieder eine Boyband
Als würden die Menschen in Zeiten der Krise besonders leidenschaftlich ihre eigenen Dramen (re)produzieren, weil man dann immerhin im Kleinen ein wenig Kontrolle performen kann, während global alles hart am abkacken ist, wurde der erste grosse innerlinke Bluesky-Beef, noch bevor er zu Ende war, von einem Shitstorm auf Tiktok und Instagram abgelöst. Dort ging es mal wieder um eine Männerband, dieses Mal um die Indiepop-Gruppe Jeremias. Diese hatte in ihrer Insta-Story ein Statement gepostet, das viele nur schon deshalb wütend machte, weil es in Schriftgrösse -5 geschrieben und basically nicht lesbar war ohne Lupe. Dort drin stand, dass es Vorwürfe von Machtmissbrauch und Manipulation gegen einen der Band nahestehenden Foto- und Videografen gegeben habe, woraufhin Jeremias die Zusammenarbeit mit diesem eingestellt und intensive Aufarbeitungsprozesse gestartet hatten, sich nun aber entschieden hätten, die Zusammenarbeit wieder aufzunehmen. Begründung: Man wolle eine «gesunde Fehler- und Kritikkultur» leben und der Person eine zweite Chance geben. Dass eine Männerband, die fast nur mit Männern zusammenarbeitet, auch dann lieber mit Männern zusammenarbeitet, wenn diese Täter sind, ist irgendwie auch nicht wirklich überraschend. Jeremias wurde daraufhin jedenfalls ziemlich auseinandergenommen, und es ist gut zu sehen, dass auch junge Fans inzwischen oft informiert genug sind, um ihren Vorbildern nicht mehr jeden Bullshit abzukaufen. Auch hat sich eine Gruppe von Betroffenen schnell selbst zu Wort gemeldet, um selbstbestimmt ihre Perspektive einzubringen.
Geiler Gender Glossar
Aber zurück zu dem Shitstorm, der eigentlich gar keiner war, nämlich jener rund um Jürg Halters LGBTQIABCDEFG-HUMAN Gemälde. Ich habe in letzter Zeit nämlich auch oft über Begriffe, Akronyme und Phrasen nachgedacht. Einerseits, weil ich immer mal wieder welche sah, deren Verwendung ich irgendwie random fand, andererseits weil ich mich selbst mit vielen Begriffen nicht ganz wohl fühlte, da mir mir Hintergrundwissen fehlte. Nachdem Jürg Halters LGBTQIABCDEFG-HUMAN Gemälde zwei Jahre mietfrei in meinem Kopf gewohnt hat, habe ich nun endlich mal fucking Google gefragt und etwas Gendertheorie nachgelesen. Dabei habe ich zwar keine eindeutige Antworten oder Anleitungen gefunden, aber zumindest ein paar Erklärungen und Anregungen. Daraus ist ein kleiner Glossar entstanden, in dem ich versucht habe ein paar Begriffe, Akronyme und Konzepte zu erklären. Wer also wissen möchte, was der Unterschied zwischen Genderidentität und -modalität ist, warum «Frau*» nonsense und was das Problem mit FLINTA ist: Hier geht es zum Geilen Gender Glossar.
Ich bin ja atm mehr so mit dem scheiss Buch beschäftigt, mache aber trotzdem mal wieder etwas auf einer Bühne, deshalb hier noch ein kleiner Veranstaltungshinweis: Im Rahmen von 16 Tage gegen Gewalt an Frauen performe ich am 8. Dezember ab 16:00 im Salzhaus Winterthur zusammen mit Mia Nägeli und Ariana Qizmolli zum Thema «Wege aus der Gewalt».