My Kombucha would never engage in Täterschutz
Remember «Oh Boy»? Ein Aufruf zur Aufarbeitung und ein paar allgemeine Gedanken zu Rape Culture und mikrobiotischen Bakterienkulturen.
Ich habe ja in meinem letzten Post versucht etwas mehr uplifting zu sein und die hottesten gay Küsse der Filmgeschichte gefeatured, aber irgendwie ist das dann doch nicht auf so viel Resonanz gestossen und let’s be honest: Mir ist auch einfach nicht so nach uplifting. Seit ich diesen silly little Lifestyle-Blog begonnen habe, ist bei mir nämlich mal wieder Achterbahn. Dabei hat das Jahr doch so gut begonnen… Aber nun hat mich das Blogformat an sich getriggert, weil die Gewalt, die ich erfahren habe, mit einem Blogbeitrag begann, which sounds silly but is true. Und dann hatte ich auch noch plötzlich die DMs voll mit Leuten mit denen ich seit Jahren keinen Kontakt hatte und die sich nun entschuldigen oder reden wollen und mit Anfragen von C-Promi-Lifestyle-Medien für lustige Interviewformate. Ich liess alles unbeantwortet. Stattdessen lag ich regungslos im Bett und scrollte auf Instagram durch inhaltslose Reels, bis ich nichts mehr fühlte. Sporadisch wurde ich von beissenden Versagensängsten und Selbstzweifel befallen, which is new, jedenfalls in dieser Intensität. Und dann war auch noch meine Therapeutin krank. Also besorgte ich mir einen Kombucha-Pilz und baute innerhalb kürzester Zeit eine übertriebene emotionale Bindung zu ihm auf. Auch so ein seltsamer Coping-Mechanismus. Als es mir vor ein paar Jahren so richtig schlecht ging – Traumabelastung, Angststörung, mittlere bis schwere Depression, USW USW – klammerte ich mich an Dinge, als würde ich implodieren, wenn ich sie loslassen würde. An die Honigwaffeln von Alnatura, den Bruder Albertus Tee, die sehr dicke Simone de Beauvoir Biografie, das Glas fermentierte Zitronen in der Küche und die Mulde auf der Baustelle vor dem Haus. Darüber schrieb ich damals sogar einen Text, der in der fünften Ausgabe von «Glitter» erschien, der nach eigenen Angaben «ersten und einzigen queeren Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum». Heute würde ich nicht mehr bei «Glitter» publizieren. Warum? Let’s dive in.
Oh, Boy!
Letzten Sommer erschien «Oh Boy», eine Anthologie zum Thema Männlichkeiten, herausgegeben von Valentin Moritz und «Glitter»-Gründer*in und -Herausgeber*in Donat Blum. Darin versuchte sich Moritz literarisch mit seiner eigenen Täterschaft und einem von ihm begangenen Übergriff auseinanderzusetzen. Die betroffene Person jenes Übergriffs meldete sich schliesslich anonym über Instagram zu Wort und erklärte, dass sie Moritz klar mitgeteilt habe, sie wolle nicht, dass er die von ihr erlebte Gewalt in seinem Text thematisiere. Der Autor tat dies trotzdem und überschritt damit zum zweiten Mal die Grenzen der betroffenen Person. Es folgte ein Shitstorm, der vor allem in Deutschland stattfand. Dass der ausdrückliche Wunsch, nicht über den Vorfall zu schreiben, von Autor und Verlag wissentlich übergangen wurde, hat der Kanonverlag schliesslich am 5. September bestätigt. Der Fehler wurde eingeräumt und Konsequenzen gezogen: Die Lesetour wurde weitgehend abgesagt, die Auslieferung des Buches gestoppt und der Text von Valentin Moritz aus dem E-Book entfernt. Weder die Medien noch der Autor selbst haben dieser Darstellung widersprochen.
Nun lässt sich natürlich grundsätzlich über das Recht an der literarischen Verarbeitung der Leben anderer Menschen diskutieren. So wie zum Beispiel die NZZ am 23. September in einem Kommentar zu «Oh Boy» fragte:
«Muss man in Zukunft alle Leute fragen, die zu einer Erfahrung beigetragen haben, ob sie mit einer literarischen Verarbeitung einverstanden sind?»
Das ist ein Thema, das auch mich selbst immer mal wieder beschäftigt, da ich oft autofiktional arbeite. Ich bin diesbezüglich durchaus zwiegespalten und habe mich auch schon auf Weisen dem Leben anderer bedient, die ich inzwischen für falsch halte. Wenn es aber um erlebte Gewalt geht, sollte die Antwort auf die Frage klar sein. Dann was das «Beitragen zu einer Erfahrung» einer Person ist, ist in diesem Fall das gewaltsame Eingreifen in die Erfahrung einer anderen Person. Bei einem Akt der Gewalt wird einem Menschen die Integrität und Handlungsmacht geraubt, was schwerwiegende psychische Folgen haben kann. Zum Heilungsprozesses gehört schliesslich, dass sich die betroffene Person dem Narrativ der Erfahrung ermächtigt. Indem sie die Gewalterfahrung aus ihrer ganz persönlichen Perspektive erzählt, kann die geraubte Integrität ein Stück weit wiederhergestellt werden. Dies ist ein kritischer Moment, der oft sabotiert wird. Das Überlebte wird verdreht und verharmlost, die Schuld verlagert. Sei es durch den Täter selbst, durch das Umfeld, durch die Medien. Wer sich für die psychologischen und gesellschaftlichen Aspekte von Gewalterfahrungen und deren Folgen interessiert, dem möchte ich mal wieder Judith Hermans «Trauma and Recovery» ans Herz legen. Ihr wisst schon: Das geile Trauma Buch.
Das Instagram-Gericht
Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass wir uns hier in unserer überschaubaren queerfeministischen Bubble und auch darüber hinaus einigermassen einig sind, dass wir Gewalt doof und deren Konsequenzen für Betroffene ernstzunehmend finden, dass die Sicht der NZZ Bullshit ist und wir das, was Valentin Moritz getan hat, verurteilen. Auch «Oh Boy» Mitherausgeber*in Donat Blum scheint diese Werte zu teilen, schrieb ens doch am 23. November 2023 auf Facebook:
«(Mein) queerer Literaturaktivismus zielt darauf ab, in Geschlechtszuschreibungen begründete Gewalt und Ungerechtigkeiten zu überwinden.»
Nun heisst es aber weiter unten in eben jenem Post, der anlässlich des Releases der sechsten «Glitter» Ausgabe, dessen Mitgründer*in und Mitherausgeber*in Blum ist, verfasst wurde:
«Statt Solidarität mit meinem bald 20-jährigen Engagement für die queere Sache zu zeigen, schlagen sich die meisten Kolleg*innen explizit auf die Seite von zwei essentiell-feministischen, ausnahmslos destruktiven Internetaktivist*innen mit Vernichtungswillen (…)»
Ich weiss tbh gar nicht so genau, was essentiell-feministisch überhaupt heisst, aber das ist auch gar nicht so relevant, weil es geht gleich unmissverständlich tief in den antifeministischen Verschwörungssumpf. Bereits zwei Monate vor diesem Post, am 25. August 2023, erschien nämlich beim Tagesanzeiger ein Interview von Nora Zukker mit Blum mit dem catchy Titel «Wirbel um Buchstopp: “Das Instagram-Gericht hat aufgrund einer anonymen Quelle geurteilt”». In diesem erklärt Blum:
«Er [Valentin Moritz] hat das, was ihm vorgeworfen wird, nicht getan. Alles beruft sich auf eine einzige Person, die bis heute anonym bleibt. (…) Weder hat sich Valentin Moritz über ein Nein hinweggesetzt, noch haben wir ein zweites Nein übergangen, indem wir seinen Text veröffentlicht haben.»
Abgesehen davon, dass «sich nicht über ein Nein hinwegsetzen» noch lange nicht heisst, dass eine Handlung kein Übergriff ist (omg that’s really just not how KONSENS works…), hatte der Kanonverlag zu jenem Zeitpunkt bereits das Statement veröffentlicht, in welchem das Gegenteil bestätigt wird und den betreffenden Text zurückgezogen. Blum fährt in jenem Interview jedoch unbeirrt fort:
«In unserer Gesellschaft scheint die sehr binäre, sehr patriarchale Vorstellung vorzuherrschen, dass es auf der einen Seite weibliche Opfer und auf der anderen Seite männliche Täter gibt. Aber wenn wir ehrlich sind, sind Männer statistisch gesehen zwar deutlich öfter Täter. Aber alle sind, egal, welchen Geschlechtes, nicht selten beides – wenn wir physische und psychische Gewalt berücksichtigen.»
Zu dieser Aussage viel mehr zu sagen, ausser dass sie antifeministisch und gewaltverharmlosend ist, würde hier den Rahmen sprengen. Ich gehe davon aus, dass den meisten hier die Basics zu Rape Culture bekannt sind. Falls wer eine Auffrischung braucht, sei auf die Wikipediaeinträge zu Täter-Opfer-Umkehr respektive Victim Blaming oder DARVO verwiesen, sowie auf den Instagram Account von Agota Lavoyer. Auch dass Nora Zukker solchen unverhüllt antifeministischen Inhalten unwidersprochen eine Plattform bietet, ist mir ziemlich rätselhaft. Aber hey, vielleicht war ja Michèle Binswanger in den Ferien und dann musste halt jemand anders beim Ressort für Hetze einspringen.
Die Ruhe nach dem Sturm
Auf alle diese Aussagen folgte… nichts. Der Shitstorm war bald abgeflaut, «Glitter» erschien wie geplant, von den darin publizierten Autor*innen äusserten sich keine weiter dazu und auch sonst gab es kaum Wortmeldungen aus der deutschsprachigen queeren Literaturszene, in welcher «Glitter» eine wichtige Position einnimmt. Ausser dem einen Post von Jann, der die Machtverhältnisse ziemlich deutlich einordnet, sind mir keine öffentlichen Kommentare begegnet. Über den von Donat Blum laut propagierten Täterschutz und die geäusserten antifeministischen Narrative wird weitgehend hinweggesehen. Dieses Hinwegsehen signalisiert, dass auch in einem queeren Kontext, in dem sich angeblich gegen Gewaltstrukturen engagiert wird, Täterschutz und Gewalt keine Konsequenzen haben, dass es weder Tools gibt, diese zu verhindern, noch aufzuarbeiten. Sensibilität für sexualisierte Gewalt wäre natürlich überall in der Gesellschaft wünschenswert, aber in einem Kontext, in welchem sich Menschen zusammenfinden, die im Vergleich zu nicht queeren Personen statistisch deutlich häufiger Gewalt erfahren, wäre sie doch eigentlich umso wichtiger. Leider verhindert aber weder links noch queer sein Gewalt und Täterschutz, wie ich hier kürzlich bereits einmal festgestellt habe. Nichts verhindert Gewalt und Täterschutz, ausser Reflektion, Aufarbeitung, Aufklärung und die Dinge beim Namen zu nennen, wenn sie im eigenen Umfeld passieren.
Solche Geschichten sind übrigens oft begleitet von der Instrumentalisierung des eigenen Schmerzes. Gewaltausübende und täterschützende Personen, nutzen die eigene Traurigkeit, um sich der Verantwortung für ihr Fehlverhalten zu entziehen. Dies beschreibt Kim Posster (der die ganze Geschichte inklusive Blums Aussagen im Tagi-Interview übrigens bereits beim Lamm sehr deutlich eingeordnet hat) in «Männlichkeit verraten!». Zusammengefasst und heruntergebrochen findet sich dieses Thema auch in «Das Jammern der Täter» von Mia Nägeli, ebenfalls erschienen beim Lamm. Donat Blum schrieb nun nach dem Abflachen des Shitstorms in einem Facebookpost:
«Ich zittere während dem schreiben und bin mir nicht sicher, ob ich bereits wieder genügend Kraft hierfür habe. Entsprechend werde ich, sollten die Angriffe und die digitale Gewalt erneut zu eskalieren drohen, ihn, wie auch jegliche gewaltvollen Kommentare, wieder löschen.»
Angesichts der im Rahmen dieser Geschichte getätigten antifeministischen und täterschützenden Aussagen und der Verweigerung jeglicher Verantwortung, lässt sich dieser Gestus in das oben genannte Phänomen einordnen. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass die beschriebenen Gefühle trotz derer Instrumentalisierung echt und in der Tat sehr schmerzhaft sind. Blum schreibt im selben Post auch über «die zerstörerische und oft zutiefst queerfeindliche Gewalt gegen meine Person, meinen queer-feministischen Aktivismus und meine gesamte Existenz(grundlage).» Ich habe den Shitstorm, dem sich Blum ausgesetzt sah, zwar nur am Rande mitverfolgt, aber ich bezweifle nicht, dass queerfeindliche Gewalt Teil davon war. Ein Shitstorm ist per se gewaltvoll und es ist auch nicht unüblich, dass eine genderqueere Person die oft männlich gelesen wird, härtere Konsequenzen erfährt, wie sie ein endo cis Mann unter den aktuellen Umständen je erfahren wird. Das mag einerseits daran liegen, dass oft durch das Ausblenden der queeren Identität alle denkbaren cis männlichen Privilegien auf die Person projiziert werden, während sie gleichzeitig nicht auf den Schutz jener zählen kann, welche diese Privilegien tatsächlich vollumfänglich besitzen. Und let’s not forget: Menschen sind auch einfach gerne queerfeindlich, davor macht auch Feminismus nicht Halt. Die queerfeindliche Gewalt die in diesem Fall in welcher Form auch immer ausgeübt wurde, ist falsch und zu verurteilen. Genauso ist es auch die Gewalt, die Valentin Moritz ausgeübt hat. Und so ist es auch Blums befördern und verharmlosen dieser Gewalt. Oft wirken verschieden Kräfte, können Menschen im einen Kontext Gewalt erfahren und im anderen ausüben. Which is not to be confused mit der oben zitierten Täter-Opfer-Umkehr.
Aufruf zur Aufarbeitung
Nicht zuletzt aufgrund des queerfeindlichen Potentials von solchen zu Shitstorms gewachsenen Dynamiken, habe ich mich letzten Herbst zurückgehalten. Das ist nichts, wovon ich Teil sein möchte. Ich habe mich auch zurückgehalten aus Angst, ein queeres Projekt zu gefährden, das mir wichtig ist. Und ich habe mich gefragt: Brauchen wir wirklich offene Konflikte innerhalb einer Gruppe, die zunehmend zur Zielscheibe faschistischer Propaganda wird und damit einhergehend immer mehr Gewalt ausgesetzt ist? Ich bin der Meinung, dass wir genau das brauchen. Schweigen ist nicht die Lösung. We really need to talk about this. Denn wenn in jenen Räumen, die von queeren Menschen aufgebaut und kultiviert werden, nicht offen und aktiv gegen strukturelle Gewalt eingestanden wird, dann können wir es auch gleich sein lassen.
Das ist übrigens kein Aufruf zum Boykott, sondern zur Aufarbeitung. Auch soll es kein Vorwurf an die Autor*innen sein, die für die aktuelle Glitter-Ausgabe geschrieben haben. Als publizierende Person ist eins ja schliesslich auch angewiesen auf Plattformen und gerade was deutschsprachige queere Literatur angeht, sind die Möglichkeiten begrenzt. Ich persönlich hätte unter diesen Umständen meinen Beitrag wohl zurückgezogen. Auch in Zukunft kann ich mir nicht vorstellen, in diesem Kontext zu publizieren, solange dort eine Person eine Machtposition innehat, die sich antifeministisch geäussert hat, ohne, dass dies nicht gründlich aufgearbeitet wurde. Dies wäre weder mit meinen Werten vereinbar, noch mit meinem Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz. Aber nach diesem Text werde ich diese Möglichkeit wohl sowieso nicht mehr haben. Dabei war ich bei meinem «Glitter»-Text damals noch gar nicht out und es wäre eigentlich an der Zeit für eine cheesy Coming out Story. Aber die kann ich ja auch einfach hier auf meinem silly little Lifestyle-Blog publizieren. Ausserdem habe ich ja 20k für mein neues Buch in der Tasche und einen Verlag an meiner Seite. Ich bin auf die Plattform nicht angewiesen. Es wäre nur schön mal wieder some kind of Community zu haben, die Zugehörigkeit und Sicherheit bieten kann. Aber egal. Ich habe ja jetzt meinen Kombucha und mit dessen mikrobiotscher Bakterienkultur einen sozialen Kontext, dem ich voll und ganz vertrauen kann. My Kombucha would never engage in Täterschutz. My Kombucha will always protect me.
Danke für diesen Text. Und freut mich, dass du unter die Kombucha-Fans gegangen bist. Für mich und uns ist der Kombucha wie ein Haustier, bloss besser (zusammen mit den Würmern im Wurmkompost im Keller).
Kleiner Vorschlag was mit essentiell-feministisch gemeint sein könnte: essentialistisch. Oder vieleicht esssentialisiert. Essentialismus ist einer der wenigen, wichtigen Einwände die gegen die Identitätspolitik sprechen. Wenn Identitätsmerkmale exkludierend gefasst werden, dann kann es tatsächlich problematisch werden (so richtet sich ja rechte Identitätspolitik immer gegen das Andere). Wobei, damit ist bereits angedeutet dass imho gerade die Intersektionalität einer Essentialisierung entgegenwirkt. Und falls essentiell-feministisch also so gemeint war, dann ist das nicht nur sprachlich unpräzis, aber umso Keule als Vorwurf. Denn ich denke die Leute, die hier kritisiert wurden, denken gerade intersektional um nicht essentialistisch zu denken.
So verkommt halt heute bald Alles zum Kampfbegriff. Irgendwo Essentialismus aufgeschnappt, falsch verstanden, verdreht wiedergegeben, polemisch überspitzt und fertig ist das Mondgesicht.