Stop being poor, Girlboss
Wenn Gewalterfahrungen zu Content werden: Ein paar Gedanken zu Popfeminismus, Social Media und #MeToo.
Manchmal beginne ich mal wieder einen Text zu schreiben, aus dem Bedürfnis gehört und verstanden zu werden. Aber dann lasse ich es doch bleiben, weil mir beim Schreiben auffällt, dass ich das alles ja bereits mehrfach genauso niedergeschrieben habe. Ich weiss wirklich nicht, was ich noch sagen soll, nichts scheint so richtig anzukommen. Deshalb ist jetzt vielleicht doch mal Zeit für ein wenig Metadiskurs, habe ich mir gedacht, und mir mal genauer angeschaut, was es mit diesem 21. Century Feminismus so auf sich hat und weshalb #MeToo mindestens so viel Hoffnungen enttäuscht, wie geweckt hat.
Ich hatte lange die Illusion, dass ich nur laut und deutlich genug sein müsse, und dann würde sich automatisch Gerechtigkeit einstellen. Das hat mir wohl zu einem nicht unwesentlichen Teil der Popfeminismus der 10er Jahre eingebrockt, eine Strömung, die den Feminismus als selbstrefferenzielle Identität verkauft hat, als Accessoir, als Vibe, oft völlig losgelöst von dessen Geschichte. Du kannst alles sein was du willst, stop being poor, Girlboss! Und don’t worry, wir haben nichts zu tun mit den bösen, hässlichen Feministinnen der zweiten Welle, wir machen das auch für die armen Männer, diesen Feminismus, die leiden schliesslich auch ganz schlimm unter dem Patriarchat. Meanwhile haben feministische Plattformen gezielt vermittelt, dass das Teilen von feministischem Content eine aktivistische Handlung sei, da sie von Klicks, Likes und Shares abhängig waren. Daraus entstand die Idee, dass man nur laut oder verständlich oder nahbar genug sein muss und gut genug Content produzieren, dann wird das Patriarchat schon sehen! Darauf hat 2017 auch #MeToo aufgebaut und dann war die popfeministische Ära auch schon wieder vorbei.
✧・゚❣ *✧・゚:* ~ Feminismus ~ *:・゚✧*: ❣ ・゚✧
In letzter Zeit musste ich öfters daran denken, wie ein Mann aus meinem früheren Umfeld äusserte, dass er Angst hätte, dass ich ihm seinen Penis abschneiden würde, wenn er etwas täte, was meinem Feminismus nicht genügte. Ich hatte diese Aussage immer als Witz abgetan und darüber gelacht, aber mittlerweile ist mir klar geworden, dass das doch ernster gemeint war, als ich angenommen hatte. Cis Männer haben tatsächlich richtig grosse Angst davor, dass ihnen etwas weggenommen wird, ihre grosse männliche Kraft, ihren Stand in der Welt, ihren männlichen Männer-Penis und das Geburtsrecht auf Supremacy, das apparently an diesen geknüpft ist. Und guess what: Die Angst ist berechtigt und wird in der Regel von jenen ausgedrückt, die gar kein Bock haben, mal ein wenig Platz zu machen.
Feminismus ist nämlich tatsächlich mehr als ein Vibe. Feminismus ist eine Bewegung mit einer Geschichte, die sich nicht einfach so abschütteln lässt. Tatsächliche Veränderung hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit bedeutet, dass Männer etwas abgeben müssen, oder ihnen etwas weggenommen wird. Männer werden nie in einem Ausmass von feministischer Befreiung profitieren, wie sie vom Patriarchat profitieren. Ebenso wie weisse Menschen von Rassismus und reiche von Ausbeutung profitieren und dementsprechend wenig Interesse an sozialer Gerechtigkeit haben.
Aber was bleibt, wenn Feminismus von seiner Geschichte und seinen eigentlichen Forderungen losgelöst wird, wenn eine Bewegung derart ausgehöhlt wird? Wenn strukturell nichts bewirkt wurde, wenn sich nichts verändert? Dann sind die im Rahmen von #MeToo geteilten Gewalterfahrungen rückblickend nicht viel mehr als Content, Futter für die Algorithmen und Profit für Tech-Riesen.
Wer profitiert?
Popfeminismus und #MeToo haben zwar einen Shift im Bewusstsein und der Informiertheit gebracht, die Entlassung ein paar mächtiger Männer und vielleicht die eine oder andere neue Massnahme zum Schutz von Schauspielerinnen in Hollywood. Was aber nach wie vor auf sich warten lässt, sind strukturelle Veränderung. Ein Grund für deren Ausbleiben ist, dass Informiertheit alleine keine nachhaltige Formen von Gemeinschaft zu erzeugen vermag. Und Gemeinschaft hat nicht nur eine Schlüsselfunktion im Überwinden von traumatisierenden Erfahrungen, sondern auch im Bewirken von nachhaltigen Veränderungen.
Als vor einem Jahr der Fall eines Journalisten, der MUTMASSLICH seriell an jungen Frauen Gewalt ausgeübt hatte, an die Öffentlichkeit gelangte, schien alles gut organisiert: Zwei Reporter hatten eine saubere Reportage gemacht, eine Handvoll betroffene Personen hatte sich juristische organisiert, das Unternehmen in welchem der mutmassliche Täter angestellt war, leitete eine Untersuchung ein. Nur Unterstützung für Betroffene hatte niemand organisiert, es gab keine Strukturen, in denen sie hätten aufgefangen werden können, oder sich zumindest eigenständig untereinander vernetzen.
Weder ein Outcall auf Social Media, ein viraler Hashtag noch eine aufwändige Reportage schaffen also nachhaltige Verbindungen. Im Gegenteil: Betroffene werden ausgestellt und allein gelassen. Man erfährt zwar für einen Moment Bestätigung und fühlt sich gesehen, was ein grosses und heilsames Gefühl ist, aber danach sitzt man komplett alleine da. Das thematisiert auch Tarana Burke in ihrer Autobiographie «Unbound». Burke gründete 2006 das me too. Movement, eine Grassroot-Bewegung die auf Empowerment, Empathie und Gemeinschaft aufbaut und Überlebende sexueller Gewalt unterstützte, zu Beginn vor allem Mädchen of Color aus einkommensschwachen Familien. Nach über zehn Jahren Arbeit in afroamerikanischen Communities wurde me too. von weissen Hollywood Schauspieler*innen zu #MeToo gemacht. Gewalterfahrungen wurden zu Content, ganz im Sinne eines neoliberalen Popfeminismus, von dem letzten Endes wohl einzig die Girlbosses profitierten, die in den Techcompanies sassen – was genau genommen auch alles andere als ein feministischer Outcome ist, denn wenn CEOs profitieren, schadet das in der Regel den restlichen 99% und am meisten jenen Mädchen, deren Unterstützung sich Burke verschrieben hatte.
Achterbahn der Entwürdigung
Ich will jetzt auch nicht super pessimistisch sein, aber es ist halt wirklich nicht viel passiert, ausser dass wir nun ein Vokabular für alle möglichen Formen und Ausprägungen von Unterdrückung haben. Aber das hatten unsere Vorkämpfer*innen auch schon. Sie gingen einfach wieder vergessen und weil man ja nichts zu tun haben wollte mit den bösen Feministinnen von damals, hat man nochmals von vorne anfangen müssen. Strukturell hingegen ist nicht viel passiert, im Gegenteil: Das Genderregime ist sich wieder am Verhärten und nicht nur in den USA werden durch die Abschaffung von Reproduktionsrechten Würde und Selbstbestimmung mit den Füssen getreten, sowie direkt Menschenleben gefährdet – allen voran die Leben von marginalisierten Personen.
Ich selbst habe auch kaum von meinem eigenen silly little #MeToo-Moment profitiert. Ich habe gewaltvolles Verhalten outgecalled, mich mit meiner persönlichen intimen Geschichte exponiert und habe damit den Algorithmus gefüttert, sowie den Voyeurismus der Schaulustigen befriedigt. Gleichzeitig musste ich mich damit abfinden, dass je lauter ich bin, desto mehr Entwürdigungen und Erniedrigungen erlebe ich, desto vehementer werden mir meine Erfahrungen oder meine Expertise abgesprochen, wiederholt sich das Gaslighting zugunsten der Aufrechterhaltung gewaltvoller, patriarchaler Strukturen immer wieder. Nach diesem Text wurde mir mehrfach Verleumdung und Inkompetenz vorgeworfen. Nach diesem hat ein Veranstaltungskollektiv versucht eine Art Aufarbeitungsprozess zu starten und im Zuge dessen meine Gewalterfahrung aus der Täterperspektive erzählen lassen und diese Erzählung unwidersprochen inklusive grosszügig ausgedehnter Wahrheiten, verdrehter Narrative und Verharmlosungen an um die 100 Personen verschickt. Phu, das war echt close am Peak der Achterbahn der Entwürdigungen der vergangenen Jahre.
Survivors Mission
Der Kampf um die eigene Würde endet nicht mit dem Überwinden des ursprünglichen Traumas, sekundäre Viktimisierung ist fester Bestandteil von Gewalterfahrungen und begleitet Betroffene oft noch lange Zeit. Manchmal denke ich, es wäre einfacher gewesen, von Anfang an einfach die Klappe zu halten und ich hätte mir das eine oder andere retraumatisierende Ereignis ersparen können. Aber ich war ja nicht nur laut, ich habe auch geschwiegen und schweige auch heute noch und das ist ebenso schmerzhaft. Anyways kann ich schlecht die Klappe halten, dieses scheiss ausgeprägte Gerechtigkeitsbedürfnis, es lässt mir keine Ruhe und schon gar nicht lässt es mich aufs Maul sitzen. (Judith Herman nennt das btw Survivors Mission, ich nenne es ADHS.)
Was ich jedoch tun kann, ist, mein Bedürfnis nach Gerechtigkeit konstruktiver zu nutzen. Mich nicht mehr durch immer mehr Aufklärungsarbeit ausbeuten zu lassen, von Leuten die kein Bock haben mal ein fucking Buch zu lesen oder mir ein Mindestmass an Empathie entgegen zu bringen. Nicht mehr immer und immer wieder möglichst verständnisvoll und schonend zu erklären, weshalb Gewalt doof ist und Betroffenen Schutz zustehen sollte. Meine Energie in Strukturen investieren, die sich vorwärts bewegen, anstatt sich im Kreis zu drehen. Healing bedeutet nämlich irgendwann auch mal nach vorne zu schauen, anstatt zurück auf den ganzen Bullshit, der hinter einem liegt. Oder wie Tarana Burke im Interview mit der New York Times sagt: Die Frage ist nicht, was #MeToo gebracht hat, die Frage ist: «What has #MeToo made possible?»
Ich empfehle sehr Tarana Burkes «Unbound», sowie ungefähr jedes Interview mit ihr, zum Beispiel «Tarana Burke Is Just Trying to Do Her Work». Ausserdem Lily Alexandres Youtube-Essay «2010s Popfeminism: A painful look back».